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Bildung + Innovation Das Online-Magazin zum Thema Innovation und Qualitätsentwicklung im Bildungswesen

Erschienen am 11.07.2002:

"Heute gelernt, morgen gelehrt"

Fremdsprachen bereits mit drei Jahren?!

Im Gegensatz zu den meisten anderen Ländern haben die Kindergärten in Deutschland weder ein Bildungskonzept noch erfahren die Erzieherinnen eine akademische Ausbildung. Eine Ausbildung an einer Fachschule reicht, um den Beruf zu erlernen. Dies hat zur Folge, dass viele Kindergärten in Deutschland Betreuungsanstalten mehr gleichen als Bildungsstätten. "Um die Neugier von Kindern zu steigern, muss man selbst viel wissen und viel wissen wollen", weiß Jugendforscherin Donata Elschenbroich (Spiegel, 21/2002). Eine Bildungsreform muss her, auch in der frühen Förderung. Darüber sind sich alle einig. Aber Reformen brauchen Zeit. Eine akademische Ausbildung der Erzieherinnen beispielsweise würde frühestens in einigen Jahren Früchte tragen.

So lange will nicht jeder warten. Es gibt auch heute schon viele Kindergärten, die ihren Bildungsauftrag ernst nehmen und sich um Neuerungen in der frühen Förderung bemühen. In der deutschen Region am Oberrhein beispielsweise haben sich 22 Städte und Gemeinden bereits 1999 zusammengeschlossen, um ihren Kindern die Chance zu geben, mit drei Jahren Französisch zu lernen. Das Bewusstsein, in einer Grenzregion zu leben und dadurch die Kommunikation und Kooperation mit dem Nachbarn zu erleichtern, hat dabei sicher eine Rolle gespielt. Viele Eltern haben sich für die Einführung der Fremdsprache aber auch deshalb stark gemacht, damit ihre Kinder schon früh eine weltbürgerliche, tolerante und antirassistische Haltung einnehmen. Das Erlernen einer fremden Sprache und einer anderen Kultur fällt Kindern schon früh "spielend" leicht. Dieses Potenzial wollen sie nicht ungenutzt lassen.

Im Mittelpunkt des Projekts steht die Qualifizierung des Personals. Die eigens für das Projekt eingerichtete und von der Initiative INTERREG II der Europäischen Union finanzierte Koordinations- und Forschungsstelle "Bilinguale Bildung im Kindergarten" an der pädagogischen Hochschule Freiburg organisiert unter anderem die sprachlichen und methodisch-didaktischen Fortbildungskurse für alle teilnehmenden Erzieherinnen. Die Ausgangssituation der Erzieherinnen ist dabei recht unterschiedlich. Bringen einige gute oder mittelmäßige Kenntnisse der französischen Sprache mit, beherrschen die meisten die Sprache gar nicht. In wöchentlich stattfindenden Sprachkursen wird ihnen von muttersprachlichen Lehrerinnen die Sprache beigebracht und in regelmäßigen methodisch-didaktischen Lehrveranstaltungen vermittelt, wie sie diese an die Kinder weitergeben können. Die Organisationsformen und Resultate sind entsprechend unterschiedlich. Während Erzieherinnen mit guten Sprachkenntnissen oft das Zweisprachenmodell einsetzen, orientieren sich solche mit geringen Sprachkenntnissen an dem Angebotsmodell. Das Zweisprachenmodell sieht in einem Kindergarten jeweils eine deutsch und eine französisch sprechende Erzieherin vor, die, ähnlich wie in einer zweisprachigen Familie, beide in ihrer Sprache sprechen. Nach drei Jahren Kindergartenzeit beherrschen die meisten Kinder die Sprache bereits recht gut. Der Anspruch des Angebotsmodells ist entsprechend anders. Ziel ist nicht, dass die Kinder mit Schulbeginn fließend Französisch sprechen, aber sie lernen, dass es neben der eigenen noch andere Sprachen gibt und "gehen frisch und unverklemmt mit der Sprache um", so Projektleiter Prof. Norbert Huppertz. Seiner Auffassung nach ist eine der wichtigsten Aufgaben von Kindergärten die sprachliche Sozialisation. Dabei kann der frühe Erwerb einer Fremdsprache nur förderlich sein. Dies entspricht der lebensbezogenen Pädagogik, die seinem Konzept zugrunde liegt. Kinder werden für ihr individuelles und soziales Leben als Weltbürger vorbereitet. Die dafür geeignete Methode ist das freie Spiel, die Bildung der Kinder, sowie das von der Erzieherin ausgewählte Aktivitätsangebot.

In den didaktischen Kursen lernen die Erzieherinnen das Angebotsmodell zum Beispiel nach dem Verfahren "heute gelernt - morgen gelehrt" kennen. Im Zentrum steht die Einübung von Liedern und Spielen, die die Erzieherinnen nach dem Einstudieren in der Fortbildung an die Kinder weitergeben. Die Fortbildnerin bringt den Erzieherinnen dabei mit viel Mimik und Gestik ein Singspiel bei. Jede Einzelne muss mitmachen, sich mitbewegen und mitsingen, so dass die Erzieherinnen nach ca. 20 Minuten dazu in der Lage sind, das eben gelernte Lied weiterzuvermitteln. Die Gefahr, dass falsch gelehrt wird, besteht nach Stefanie Müller, wissenschaftliche Mitarbeiterin des Projekts, durch die naturgetreue Wiedergabe des Erlernten nicht. Auch könnten Fehler, die sich hier einschleichen, in der Schule immer noch ausgebessert werden. In Baden-Württemberg können Kinder bereits ab Klasse 1 Französisch lernen.
Kinder die nach diesem Modell lernen, beherrschen nach ihrer Kindergartenzeit mehrere Lieder und Sätze auf Französisch und sie können sich begrüßen und verabschieden.

Unterstützt wird das Projekt durch die Kooperation mit der A.B.C.M.-Zweisprachigkeit aus dem Elsass. Diese Initiative ermöglicht Kindergärten schon seit über zehn Jahren, ihre Kinder zweisprachig auszubilden. Gelernt wird hier allerdings ausschließlich nach dem Zweisprachenmodell von muttersprachlichen Lehrerinnen. Der Austausch beider Gruppen in Form von regelmäßig stattfindenden Begegnungen unterstützt das Kennenlernen der jeweils anderen Kultur.

Das frühe Erlernen einer Fremdsprache zeigt, dass Bildung nicht nur bereits im Kindergarten möglich ist, sondern den Kindern auch Spaß macht. So fragen die Kinder im Kindergarten St. Antonius immer wieder nach, wann Pierre und Francois, zwei französische Handpuppen, wiederkommen. Hervorzuheben ist auch, dass nahezu alle Kinder konsequent beide Sprache getrennt voneinander anwenden, eine Sprachmixtur kommt so gut wie kaum vor.
Diese Chancen nicht zu nutzen, wären vergeudete Potenziale. Deshalb plädieren Experten wie auch Prof. Wassilios E. Fthenakis, Direktor des Staatsinstituts für Frühpädagogik in München, für die Entwicklung eines Bildungsplanes bereits im Kindergarten, eine akademische Ausbildung der Erzieherinnen und Kostenfreiheit für alle Kindergärten. Erst dann können Kindergärten endlich mehr werden als Aufbewahrungsanstalten.

Am Oberrhein wartet man nicht, bis solche Entscheidungen "von oben" fallen. Die Eltern reformieren allen voran das Bildungssystem von unten, indem sie sich mit viel Engagement für die Einführung der Fremdsprache in ihren Kindergärten einsetzen. Jetzt, nach dreijährigem, erfolgreichen Projekt, soll sogar die Implementierung einer Fremdsprache in die Erzieherinnenausbildung folgen.

 

Autor(in): Petra Schraml
Kontakt zur Redaktion
Datum: 11.07.2002
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